ISDN-Grundlagen

oder: Wer braucht schon ISDN...?

von
Thomas Heinrich

Motivation

Vor ziemlich genau zwei Jahren hatte ich mich überwunden, in die Welt der drahtgebundenen Computerkommunikation einzusteigen. Das soll heißen, ich hatte es satt, immer mehr PD-Disketten anzusammeln und wollte sofortigen Zugriff auf die neueste Software. Ein Telefonanschluß und ein Modem waren schnell besorgt, die Verbindung zu diversen Mailboxen war recht schnell. Aber den direkten Zugriff auf die neueste Software hatte ich immer noch nicht.

So fiel dann vor einem Jahr die Entscheidung: Ein Internet-Anschluß muß her. Doch, oh weh! Wenn man auf der grünen Wiese lebt, gar nicht so einfach. Zum Ortstarif war nur ein Anbieter zu erreichen - die Deutsche Telekom. Also blieb mir nichts anderes übrig, ich ließ mir einen T-Online Zugang einrichten.

Dann kamen die grausamsten Wochen meines Lebens. Übertragungsraten von sage und schreibe 40 cps (Zeichen pro Sekunde), und das mit einem 28800er Modem, das problemlos die 80-fache Geschwindigkeit schafft. Zum Glück hatte die Telekom bald ein Einsehen, und beschleunigte die Zugänge. Und zwar so sehr, daß mein Modem die Bandbreite gar nicht mehr ausnutzen konnte.

Nach der Devise "Schneller, höher, weiter" war jetzt der nächste Schritt fällig: ISDN.

Vergleiche

Heute gibt es drei große Geschwindigkeitsgruppen in der DFÜ:

28,8er bzw.
33,6er Modems
Diese Modems erreichen physikalische Geschwindigkeiten bis 3,7 kByte pro Sekunde. Dieser V.34 genannte Standard ist die schnellste Analogverbindung ohne besondere Zusatzhardware.
56er Modems:

Diese Modems sind eine Mogelpackung, denn sie erreichen die maximale Geschwindigkeit von 6,1 kByte pro Sekunde nur in Downloadrichtung. Ein Upload erfolgt nur mit 3,7 kByte/s. Als wäre das nicht genug, findet sich in der Anzeige eines namhaften Modemanbieters (Multi-Tech® Systems, Inc.) folgende Bemerkung (natürlich kleingedruckt):

»Obwohl dieses Modem eine Downloadkapazität von 56.000 bps besitzt, sind wegen Leitungsstörungen, der Infrastruktur des öffentlichen Leitungsnetzes und anderen externen Faktoren Verbindungen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 56.000 bps zur Zeit nicht möglich.«

Im Klartext: Im Labor funktionierts, am Telefonnetz leider nicht.

Ein weiterer Pferdefuß ist der, daß die Sendestelle, also im allgemeinen der Internetprovider, sich eine extra (teure) Hardware anschaffen muß, um diese Geschwindigkeit zu unterstützen.

ISDN Adapter: Diese Adapter sind eigentlich keine Modems mehr, das heißt, sie nutzen die Telefonleitung nicht mehr wie ein Modem auf analoge Weise, sondern kommunizieren digital mit der Gegenstelle. Mit ISDN erreicht man Geschwindigkeiten bis 7,5 kByte/s pro B-Kanal. Schaltet man beide B-Kanäle eines ISDN-Anschlusses zusammen, erreicht man die doppelte Geschwindigkeit, zahlt aber auch die doppelten Gebühren.

Physikalische Geschwindigkeit meint hier die Anzahl der Bytes, die pro Sekunde tatsächlich über die Leitung übertragen werden, ohne Kompression.

Mit Kompression erreicht man bei Textdateien unter Umständen ein vielfaches der Übertragungsrate; bei bereits komprimierten Daten, wie JPEG-Bildern oder LHa-Archiven ist der Gewinn gleich null.

Lohnt sich ISDN ?

Hier muß man genau kalkulieren. Zum einen ist der ISDN-Grundbetrag fast doppelt so hoch wie der eines analogen Telefonanschlusses. Zum andern bietet ISDN über die reine Telefonleitung noch einige Annehmlichkeiten.

Man bekommt nämlich drei Telefonnummer und zwei Leitungen, so daß man, während man im Internet surft, immer noch telefonieren kann. Man kann die zusätzlichen Telefonnummern auch auf andere Teilnehmer, z.B. in einer kleinen Hausgemeinschaft vergeben, und so die Kosten aufteilen.

Für die meisten ergibt sich durch ISDN eine Verdoppelung der Übertragungsrate. Dieser Geschwindigkeitsvorteil ist bei Mailboxen enorm, im Internet relativiert sich das Ganze wieder. Da das Internet selbst nur aus einer Unmenge Einzelrechnern mit verschiedenen Anschlußgeschwindigkeiten besteht, darf man die ISDN-Geschwindigkeit nur als Bandbreite ansehen, also als mögliche Höchstgeschwindigkeit. Der einfachste Trick, diese Bandbreite auszunutzen, besteht darin, mehrere Dateien gleichzeitig zu laden. Die einzelne Datei dauert dann zwar länger, aber dafür hat man in der Zeit zwei oder drei Dateien geladen.

Daraus kann man auch ersehen, daß der Vorteil für reine WWW-Surfer nicht so groß ausfällt, da man im WWW öfter mal eine längere Pause zum lesen macht und dadurch der Geschwindigkeitsvorteil ungenutzt bleibt. Wer aber oft große Dateien aus dem Aminet lädt, hat durchaus Vorteile.

(M)ein Beispiel: Wer einigermaßen weiß, was er laden will, und wenig Lesepausen macht, der kommt in einer halben Stunde Internetzugang auf eine heruntergeladene Datenmenge von 8 MByte. So geschehen, als ich eine Seite mit Bildern "geplündert" habe. Im Durchschnitt macht das 4,5 kByte/s. Mit einem analogen Modem könnte man das nicht mal erreichen, wenn man ununterbrochen herunterlädt.

Andererseits lohnt sich zum Beispiel bei FTP-Übertragungen die hohe ISDN- Geschwindigkeit nicht. Große Server wie der Aminet-Mirror in Paderborn sind meistens so beschäftigt, daß man nicht über 3 kByte/s hinauskommt. Die einzelnen Datenpakete sind zwar blitzschnell empfangen, aber die Pausen zwischen den Paketen machen die hohe Übertragungsrate schnell zunichte.

Natürlich kann man auch hier zweigleisig fahren, z.B. einen zweiten Server kontaktieren, oder ein paar Newsgroups lesen.

Letztlich hängt alles davon ab, wie groß die monatlich gezogene Datenmenge ist. Die ISDN-Grundgebühr ist circa 20 DM teurer, also muß sich die gezogene Datenmenge um circa 50% vergrößern, bei einer Onlinezeit von monatlich mindestens 8 Stunden. Das gilt für den Zugang zum Internet mit einem durchschnittlichem Preis von 5 DM für die Onlinestunde inklusive Telefongebühr. Hat man einen teureren Provider, oder ist länger online, rentiert sich ISDN eher.

Allerdings verlangen manche Provider für den ISDN-Zugang doppelt so hohe Zugangsgebühren, womit sich die Mindest-Onlinezeit je nach Betrag noch einmal um 2 bis 8 Stunden erhöht.

Die einfache Faustregel heißt also: Der Mehrpreis für den ISDN-Anschluß muß sich entweder in einer Reduzierung der Onlinezeit um mindestens diesen Betrag äußern, oder man schafft es, für den Mehrpreis entsprechend mehr Daten durch die Leitung zu jagen.

Kontaktiert man vor allem Mailboxen, ergibt sich ein ähnliches Bild, nur mit deutlich mehr Mindeststunden, da man nur die Telefongebühr ohne irgendwelche Providergebühren bezahlt. So steht man dann vor der Aufgabe, mindestens 40DM Telefoneinheiten im Monat in Mailboxen zu verbringen und fleißig up- und downzuloaden, damit sich ISDN lohnt.

Bei allem ist noch nicht die Hardware eingerechnet, die auch noch Mehrkosten verursachen kann. Eine ISDN-Karte ist deutlich billiger als ein V.34-Modem mit Schnittstellenkarte, die man braucht, um effektiv DFÜ zu betreiben. Die interne serielle Schnittstelle des Amiga ist einfach zu langsam.

Fazit:

Es kommt weniger auf den Computer an, ob man sich für ISDN- oder Analoganschluß entscheidet, vielmehr sind die eigenen Online-Gewohnheiten ausschlaggebend. Wer viele Archive oder Bilder lädt, kommt mit ISDN schneller in die schwarzen Zahlen, nicht zu vergessen der Spaß, den ein schneller Internetzugang macht.

Wer sich nur im WWW von Seite zu Seite klickt, und hin und wieder eine EMail schreibt, der kann sich mit einem analogen Anschluß zufrieden geben.

Am schlechtesten dran sind die User, die schon eine komplette Analogausrüstung haben und bemerken, daß sie durchaus größere Datenmengen laden könnten, aber einfach nicht mehr durchs Kabel durchgeht. Dann noch den Absprung zu wagen und auf ISDN umzusteigen, ist ziemlich teuer. Denn wer kauft schon ein gebrauchtes Modem, wo ISDN so attraktiv ist...


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